Ernst Ludwig Kirchner
Künstlerfreundschaften – Die Davoser Jahre
„Sie glauben nicht, wie schön die Berge im Winter sind. Von früh an leuchtet die Sonne in mein Zimmer, und von meinem Lager aus übersehe ich das reizvolle Tal und die stete Veränderung der Farben.“
(Ernst Ludwig Kirchner an den Architekten Henry van de Velde)
Die Fundaziun Capauliana freut sich in Kooperation mit der Chesa Planta, die Ausstellung „Ernst Ludwig Kirchner. Künstlerfreundschaften – Die Davoser Jahre.“ zu präsentieren. Zur Schau gestellt werden zum Teil noch nie öffentlich gezeigte Werke einer vorwiegend jungen und aufstrebenden Künstlergeneration. Ein Grossteil der Bilder stammen aus der Sammlung der Fundaziun Capauliana, Chur. Unterstrichen wird diese einzigartige Komposition, durch fotografische Leihgaben des Ernst Ludwig Kirchner Museums, Davos und Schriftstücken aus dem Staatsarchiv, Chur. Auf diese Weise werden die verschiedenen Ebenen und die zahlreichen Facetten des von Kirchner und seinen Künstlerfreunden ausgelebten Expressionismus beleuchtet und in ihrer Einzigartigkeit präsentiert.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschüttert eine neue Strömung, der sogenannte „Expressionismus“ mit der Absage an die akademische Tradition und dem leidenschaftlichen Streben „das Wesen der Dinge zu erfassen“, die europäische Kunstwelt.
Doch zunächst: Was versteckt sich eigentlich hinter dem Begriff „Expressionismus“?
1917 macht sich der Maler Ernst Ludwig Kirchner, in dem Glauben nie mehr malen zu können, auf nach Davos in die Bündner Bergwelt. Gezeichnet vom I. Weltkrieg versucht er nicht nur seiner physischen Erkrankung, sondern auch seiner Drogen- und Alkoholsucht Herr zu werden. Dort angekommen erklärt er die Gegend zu einem metaphorischen Ort der geistigen Erneuerung.
„Es ist sehr schön hier oben, wenn es nicht regnet und Nacht ist, und könnte man soviel malen, wenn man nicht so schwach wäre.“ (Ernst Ludwig Kirchner, 1917)
Genau um diese Erneuerung ging es den Expressionisten:
Davos; einst nicht nur mondäner Kurort, wird zu einem Quell der Inspiration einer jungen, kulturbegeisterten Generation, die mit althergebrachten Konventionen bricht. Bereits einige Jahre zuvor entdeckte Philipp Bauknecht die Davoser Landschaft als seine Muse und nach Kirchner folgen zahlreiche Intellektuelle, Maler, Schriftsteller und Philosophen dem Ruf der Berge. An diesem Ort fanden Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner, Philipp Bauknecht, Jan Wiegers, Paul Camenisch Anfang der 1920er Jahre zusammen, um in einen intensiven künstlerischen Dialog zu treten und
voneinander zu profitieren, stets mit dem Gedanken die naturalistischen Strukturen aufzubrechen. Dies geschieht nicht nur in der Malerei, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche künstlerische Formen und Darbietungen.
Bereits 1924 wird die so entstandene Kunst E. L. Kirchners in der Schweiz rigoros abgelehnt. Die Bilder seien zu wild – zu deutsch. Verstehend schreibt Kirchner „Aber der Kampf um die Anerkennung meiner Kunst tobt wüst hier, da man auf französische Künstler eingestellt ist und vor meinen Formen und Farben erschreckt (…) wohl geht die Arbeit vorwärts, trotz allem, aber die Leute kämpfen gegen meine heutige Art wie vor 10 Jahren gegen die damalige, die sie heute anerkennen.“
Die Ausstellung widmet sich nicht dem umfassenden Schaffen Kirchners, vielmehr soll sie dessen Einfluss auf die Künstler der damaligen Zeit hervorheben. So entsteht eine der wichtigsten Gruppen des Schweizer Expressionismus, die Basler Künstlergruppe „Rot-Blau“ deren Gründer Albert Müller, Paul Camenisch und Hermann Scherer während zahlreicher Malaufenthalte bei Kirchner, sich von dem älteren Künstler-Kollegen inspirieren liessen. Langsam entwickeln sich intensive Freundschaften zwischen den Künstlern, denen Kirchner oft wie ein Lehrer vorsteht. Während dieser Zeit leben besonders Jan Wiegers und Albert Müller jeweils für mehrere Wochen im Jahr in Kirchners Unterkunft. Ein gegenseitiger künstlerischer Ansporn entsteht. Oft werden die selben Themen und Motive dargestellt. Neben der pittoresken Davoser Berglandschaft finden sich Szenen aus dem unmittelbaren Bergleben. Doch auch der Bruch mit den biederen gesellschaftlichen Konventionen wird durch zahlreiche gegenseitige Aktzeichnungen und Portraits deutlich.
Anhand dieser persönlichen Darstellungen und den landschaftsabbildenden Holzschnitten wird aufgezeigt, wie Nahe sich die Künstler während jener Zeit in Davos standen. Die Werke spiegeln das Lebensgefühl dieser jungen Malergeneration wider deren expressive Ebene gegenüber der ästhetischen, appelativen und sachlichen überwiegt. Zentral für alle Werke ist das Erlebnis, welches die Künstler mit Ihren Kompositionen dem Betrachter vermitteln wollten, indem sie frei mit Farbe und Form umgingen. Dadurch entstanden reduzierte Bildmotive mit markanten Elementen und die Auflösung der bis anhin traditionellen Perspektive. Die expressionistischen Werke zeigen keine wirklichkeitsgetreuen Eindrücke und schönen Formen, vielmehr spiegeln sie die subjektiven Empfindungen der Künstler wider – so wurden die Emotionen das interpretierende Motiv der expressionistischen Künstlergeneration.
Nach dem frühen Tod der beiden Künstler Albert Müller und Herman Scherer (1926 und 1927) lösen sich langsam die Freundschaften um Kirchner. Der Maler zieht sich immer mehr zurück und richtet sein künstlerisches Schaffen auf die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin Erna Schilling aus. Hinzu kommt die Diffamierung seiner Werke im aufstrebenden Nazi-Deutschland, die dem Künstler weiter zusetzen.
Am 15. Juni 1938 zerbricht der in sich gespaltenen Künstler schliesslich. Er nimmt sich in Davos das Leben.
Sein Ziel hat er dennoch erreicht.
„Ich möchte in der Welt und für die Welt verbleiben. Die hohen Berge werden mir dabei helfen.“ (Ernst Ludwig Kirchner