Expressionismus in Graubünden

Die Landschaft als Muse

„Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue  Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“ (Ernst Ludwig Kirchner zur Entwicklung des Expressionismus, 1905)

Die Fundaziun Capauliana freut sich in Kooperation mit der Chasa Jaura, die Ausstellung „Expressionismus in Graubünden. Die Landschaft als Muse.“ zu präsentieren. Zur Schau gestellt werden zum Teil noch nie öffentlich gezeigte Werke einer vorwiegend jungen und aufstrebenden Künstlergeneration, die fast ausschliesslich aus der Sammlung der Fundaziun Capauliana, Chur stammen. Entstanden ist so eine einzigartige Komposition, welche auf verschiedenen Ebenen die zahlreichen Facetten des Expressionismus in Graubünden beleuchtet und in ihrer Auswahl einmalig ist.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschüttert eine neue Strömung, der sogenannte „Expressionismus“ mit seiner Absage an die akademische Tradition und seinem leidenschaftlichen Streben „das Wesen der Dinge zu erfassen“, die europäische Kunstwelt.

Doch zunächst: Was versteckt sich eigentlich hinter dem Begriff „Expressionismus“?

Bereits 1917 zieht es den Maler Ernst Ludwig Kirchner, aufgrund von schweren auf den 1. Weltkrieg zurückzuführenden psychischen Erkrankungen in die Bündner Bergwelt nach Davos, in dem Glauben nie mehr malen zu können. Dort angekommen erklärt er die Gegend zu einem metaphorischen Ort der geistigen Erneuerung. 

Genau um diese Erneuerung ging es den Expressionisten: Davos; einst nicht nur mondäner Kurort, wird zu einem Quell der Inspiration einer jungen, kulturbegeisterten Generation, die mit althergebrachten Konventionen bricht. Bereits einige Jahre zuvor entdeckte Philipp Bauknecht die Davoser Landschaft als seine Muse und nach Kirchner folgen zahlreiche Intellektuelle, Maler, Schriftsteller und Philosophen dem Ruf der Berge. An diesem Ort fanden sie Anfang der 1920er Jahre zusammen; Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner, Philipp Bauknecht, Jan Wiegers, Paul Camenisch, um in einen intensiven künstlerischen Dialog zu treten und voneinander zu profitieren, stets mit dem Gedanken die naturalistischen Strukturen aufzubrechen. Dies geschieht nicht nur in der Malerei, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche künstlerische Formen und Darbietungen. 

Bereits 1924 wird die so entstandene Kunst E. L. Kirchners in der Schweiz rigoros abgelehnt. Die Bilder seien zu wild – zu deutsch. Verstehend schreibt Kirchner „Aber der Kampf um die Anerkennung meiner Kunst tobt wüst hier, da man auf französische Künstler eingestellt ist und vor meinen Formen und Farben erschreckt (…) wohl geht die Arbeit vorwärts, trotz allem, aber die Leute kämpfen gegen meine heutige Art wie vor 10 Jahren gegen die damalige, die sie heute anerkennen.“ 

Die Ausstellung widmet sich nicht dem umfassenden Schaffen Kirchners, vielmehr soll sie dessen Einfluss auf die Künstler der damaligen Zeit hervorheben. So entsteht eine der wichtigsten Gruppen des Schweizer Expressionismus, die Basler Künstlergruppe „Rot-Blau“ deren Gründer Albert Müller, Paul Camenisch und Hermann Scherer während zahlreicher Malaufenthalte bei Kirchner, sich von dem älteren Künstler-Kollegen inspirieren liessen. 

Anhand von Porträts und landschaftsabbildenden Holzschnitten wird aufgezeigt, wie Nahe sich die Künstler während jener Zeit in Davos standen. Die Werke spiegeln das Lebensgefühl dieser jungen Malergeneration wider deren expressive Ebene gegenüber der ästhetischen, appelativen und sachliche überwiegt. Zentral für alle Werke ist das Erlebnis, welches die Künstler mit Ihren Kompositionen dem Betrachter vermitteln wollten, indem sie frei mit Farbe und Form umgingen. Dadurch entstanden reduzierte Bildmotive mit markanten Elementen und die Auflösung der bis anhin traditionellen Perspektive. Die expressionistischen Werke zeigen keine wirklichkeitsgetreuen Eindrücke und schönen Formen, vielmehr spiegeln sie die subjektiven Empfindungen der Künstler wider – so wurden die Emotionen das interpretierende Motiv der expressionistischen Künstlergeneration.

Auch wenn viele der hier ausgestellten Maler wie Philipp Bauknecht, Leonhard Meisser oder Cuno Amiet sich schnell wieder vom Expressionismus entfernten und ihr Oeuvre weiterentwickelten, so prägten sie doch alle massgeblich den Expressionismus in der Schweiz. 

Cuno Amiet *28. März 1868 – +06. Juli 1961

Philipp Bauknecht *1848 – +26. Februar 1933

Paul Camenisch *07. November 1893 – +13. Februar 1970

Erich Heckel *31. Juli 1883 – +27. Januar 1970

Ernst Ludwig Kirchner*06. Mai 1880 – +15. Juni 1938

Leonhard Meisser *03. Dezember 1902 – +02. August 1977

Albert Müller *29. November 1897 – +14. Dezember 1926

Werner Neuhaus *01. November 1897 – +22. August 1934

Clara Porges *17. september 1897 – +17. Mai 1963

Hermann Scherer *08. Februar 1893 – +13. Mai 1927

Jan Wiegers *31. Juli 1893 – +30. November 1959